Unabhängigkeit, Freiheit und Eigenverantwortung – das sind die Schlagwörter, die im „Mission Statement“ der Agenda Austria herausstechen. Austrian Limited bat den Leiter des Thinktanks und ehemaligen Wirtschaftsjournalisten Franz Schellhorn zum Zoom-Interview.
Ganz losgelöst von Herkunftsbezeichnungen oder Gütesiegeln, was ist Ihre erste Assoziation zu „Made in Austria“? Kurz: eine Erfolgsgeschichte. Österreich war nach dem Zweiten Weltkrieg eines der ärmsten Länder der Welt – und ist nun eines der wohlhabendsten. Kaum ein anderes Land hat die offenen Märkte so gut nutzen können. Man hat begonnen, Arbeitsteilung zu nutzen, Dinge zuzukaufen und so die hohen Kosten in Österreich selbst auf den Märkten unterzubringen. Gleichzeitig haben wir eine leistungsbereite Arbeitnehmerschaft und eine innovative und risikobereite Unternehmerschaft. Heute werden rund 60 Prozent der Wertschöpfung Österreichs außerhalb der Staatsgrenzen erwirtschaftet. Das ist „Made in Austria“.
Eine erfolgreiche Vergangenheit also – aber wie steht es um die Zukunft? Welche Strategien verfolgen österreichische Unternehmen? Welche Gemeinsamkeiten kann man erkennen? Was alle verbindet, ist ein hoher Qualitätsanspruch – sonst kann man in einem Hochkostenland wie Österreich auf dem Markt nicht bestehen. Man muss die hohen Produktionskosten im Markt unterbringen. Generell würde ich zwei Strategien unterscheiden, die viele Firmen fahren: Erstens, die eigene Produktion hochzuskalieren, um international zu verkaufen. Es gibt hierzulande viele Firmen, die im internationalen Vergleich eher klein und in Österreich etwa im Mittelfeld sind, die Weltmarktanteile von 90 Prozent und mehr haben. Zweitens entscheiden sich gerade im Handwerksbereich einige zu einer „Genügsamkeitsstrategie“: also nicht mehr weiter zu wachsen, sondern sich nachhaltig auf einem Niveau zu halten. Ich bin gespannt, wie diese Strategie aufgehen wird.
Welche Rolle spielt „Made in Austria“ für die Konsumenten? Einerseits erkennen wir einen starken Trend zur Ökologie – da ist Regionalität natürlich ein Faktor, weil die Transportwege kürzer sind. Andererseits ist die Fixierung auf Regionales schon fast ein Fetisch, da ist Österreich ein Sonderbeispiel. Es wirkt ja schon ein bisschen schizophren: Wir sind ein Land, das die internationalen Märkte extrem nutzt; wir sind Exportweltmeister, gleichzeitig haben wir eine so negative Einstellung zur Globalisierung wie kaum ein anderes Land. Was gerne übersehen wird, ist, wie viele regionale Jobs es in Österreich es nur dank einer globalisierten Wirtschaft gibt, durch die wir Vorprodukte günstig beziehen können. Nehmen wir Jeans als Beispiel. Ganz davon zu schweigen, dass es in Österreich keine Baumwolle gibt, wären Jeans unter 300 Euro nicht zu haben, wenn wir sie nur im Land produzierten. Regionalität hat eben genauso Sinn wie Internationalität – es ist kein Entweder-oder. Das wohlstandsstiftende Element unserer Gesellschaft – da sind sich die Ökonomen aller Couleur einig – ist der Freihandel.
Bei immer kleinteiligeren Produktionsketten ist es für den Konsumenten schwierig bis unmöglich, den Überblick zu behalten. Wie schafft man Transparenz in der Lieferkette – auch, um Glaubwürdigkeit zu bewahren? Natürlich macht der internationale Markt Definitionen schwieriger: Ist „Made in Austria“ das, was in Österreich endgefertigt ist? Oder ausschließlich das, was vom Rohstoff an aus Österreich kommt? Viele Rohstoffe sind hierzulande einfach nicht herstellbar, das muss man zur Kenntnis nehmen. Auch das Lieferkettengesetz, das man nun versucht zu beschließen, halte ich nicht für umsetzbar: Für viele Produzenten ist es gar nicht möglich, die Verantwortung für die gesamte Lieferkette zu übernehmen, denn Subunternehmen haben wieder Subunternehmen und so weiter. Aber ja, selbstverständlich ist Transparenz entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Marke „Made in Austria“. Sie fungiert auch als Qualitätssiegel, sonst gäbe es ja keinen Grund, sie zu kaufen. Dinge wie der Maskenskandal um die Hygiene Austria sind da natürlich schädlich.
Wenn Unternehmer es selbst nicht mehr überblicken können, wer ist dann eigentlich noch verantwortlich? Es ist eine geteilte Verantwortung. Man muss dem Konsumenten durch die transparente Darstellung des Produkts eine Entscheidungsgrundlage liefern. Was der Konsument dann kauft, ist in seiner Verantwortung. Aber eines ist auch klar: Wenn der Staat es für sich in Anspruch nimmt, Qualitätsstandards festzusetzen, dann muss er sie auch überprüfen – das kann man nicht auf andere schieben.
Wenn man all diese Punkte zusammenfügt, folgt daraus, dass „made in“ als Bezeichnung nur irreführend sein kann? Sollte man über Alternativen wie „created in“ oder „designed in“ nachdenken? Es wird zunehmend schwieriger, das stimmt. „Made in“ stammt aus einer Zeit, in der einfach noch viel mehr im Land selbst gemacht wurde, das ist heute nicht mehr der Fall. Da können alternative Bezeichnungen Sinn machen. Apple macht das heute schon: „designed by“ und „assembled in“. Einerseits ist es wichtig, diejenigen zu stärken, die im Land durch Innovationskraft am Markt zu bleiben – auch, wenn es um den ökologischen Fußabdruck geht, um Transportwege und Ähnliches, sollte man streng sein. Andererseits sollte man nicht in eine „Blut-und-Boden“-Diskussion abdriften. Schließlich ist „Made in Romania“ nicht zwingend schlechter. Wichtig ist eine klare Kommunikation mit dem Konsumenten, damit dieser eine informierte Entscheidung treffen kann.
Wer ist verantwortlich für die Gestaltung dieser Kommunikation? Ganz klar der Gesetzgeber. Er muss Mindestanforderungen schaffen, die klar zu kommunizieren sind.
Im Mittelpunkt dieser Sonderausgabe von Austrian Limited stehen die österreichischen Manufakturen. Wie schätzen Sie deren Bedeutung für die österreichische Volkswirtschaft, für den Tourismus ein? Ich muss sagen, dass ich dazu keine detaillierten Analysen kenne. Ich glaube aber, dass der Begriff ein ähnlich schwammiger ist wie „made in“. Was ist eine Manufaktur eigentlich? Eigentlich sagt der Begriff aus, dass es sich um ein kleines Unternehmen handelt, dass keine industrielle Fertigung dahintersteht. Für mich ist der Schusterbetrieb Scheer ein klassisches Beispiel für eine Manufaktur. Aber auch da wird jeder eine andere Definition haben. Was die Bedeutung für die Wirtschaft und den Tourismus angeht, glaube ich, dass es umgekehrt ist: Der Tourismus ist wichtig für die Manufakturen. Der Gast isst zum Frühstück im Hotel den Speck aus dem Nachbarort, kostet beim Abendessen den heimischen Wein. Denn natürlich ist das Regionale für den Reisenden interessant – die Ketten gibt es ja ohnehin überall. Dass man übers Wochenende zum Shoppen nach London fliegt, gibt es dementsprechend kaum noch – man kauft entweder daheim oder online.
Im Handwerk herrscht Arbeitskräftemangel. Die Lehre ist für viele eine Notlösung – Ziel ist das Studium. Ja, das Ziel, Akademiker zu sein, ist in Österreich extrem häufig. In der Schweiz beispielsweise ist das ganz anders. Dort hat das Handwerk einen ganz anderen sozialen Status, es ist extrem angesehen. In Westösterreich ist das auch noch stärker so, aber im Osten kaum noch. Würde man sich genauer ansehen, wie voll die Auftragsbücher der Handwerker heute sind, könnte das zu einer Trendumkehr führen. Die Lehre, die ja eng mit dem Handwerk verbunden ist, hat leider in Österreich ein schlechtes Image, es wird als die Notlösung für Menschen dargestellt, die es sonst nicht schaffen. Dieses Image muss erneuert und aufgewertet werden, man muss neue Wege finden. Denkbar wäre etwa die Lehre mit Matura oder Gymnasien, die auch Handwerksberufe unterrichten. Mit den HTLs hat Österreich da auch schon ein gutes Fundament für einen Weg in diese Richtung. Und eines ist auch klar: Die Handwerksberufe sind die letzten, die von der Digitalisierung ersetzt werden können.
Herzlichen Dank für das Gespräch.