Überall leuchtet uns Rot-Weiß-Rot entgegen, von Plakaten, Etiketten, Gütesiegeln. Supermarkt- und Fast-Food-Ketten wollen uns überzeugen, dass sie die Vorkämpfer für Regionalität und heimische Betriebe sind, fiktive Fleischhauer lächeln urig von Plastikverpackungen. Fairerweise muss man sagen: Wir springen darauf an. In kaum einem anderen Land ist es so en vogue, regional zu kaufen. Wir assoziieren mit der österreichischen Herkunft strenge Auflagen, hohe Qualität, eine Stärkung der heimischen Wirtschaft. Der teilweise Zusammenbruch internationaler Lieferketten im Zuge der Coronapandemie hat diese Assoziation weiter gestärkt – wirklich verlassen kann man sich eben nur auf die eigenen Leut’. „Regionalität und das bewusste Bevorzugen von heimischen Produkten hat im letzten Jahr einen deutlich höheren Stellenwert im Kaufentscheidungsprozess erlangen können“, schildert Werbeprofi Jürgen Vanicek, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Kreativagentur Demner, Merlicek & Bergmann, die unter anderem für Rewes Kampagne „Blühendes Österreich“ verantwortlich zeichnet. „Es kann somit gesagt werden, dass „Made in Austria“ – und insbesondere die damit verbundenen Regionalität – aktuell wichtiger denn je in der Markenkommunikation ist.“
DER ROT-WEIß-ROTE SPIEGEL.
Was in unserem Verständnis von „Made in Austria“ immer mitschwingt und marketingwirksam genutzt wird, ist unser Selbstbild. Schließlich sind wir auch alle „Made in Austria“. So wie „wir“ beim Skifahren gewinnen. Umso verärgerter sind wir, wenn nun ein schwarzes Schaf daherkommt und unser Spiegelbild verzerrt, unser Vertrauen ausnutzt – und zum Beispiel einfach so Masken aus China umetikettiert. In der repräsentativen Umfrage von Austrian Limited hat fast die Hälfte der Befragten durch den Skandal um die Hygiene Austria ein schlechteres Bild von „Made in Austria“ als zuvor. Und es hätten noch mehr sein können, lässt Vanicek durchblicken: „Geholfen haben die Ereignisse rund um die Hygiene Austria mit Sicherheit nicht, das Vertrauen in ‚Made in Austria‘ zu stärken. Aus Kommunikationsperspektive kann jedoch gesagt werden, dass der News-Cycle in den letzten Monaten eine überdurchschnittlich hohe Taktung in Bezug auf diverse Skandale und Ereignisse im In- und Ausland rund um weitere Covid-Themen hatte und dadurch der angesprochene Maskenskandal nicht die Reichweite und Resonanz aufbauen konnte, wie dies wohl unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre.“ Ist „Made in Austria“ also gerade noch davongekommen? Oder ging eine dringend notwendige Diskussion im Newsdschungel unter?
WIE IST DIE RECHTSLAGE?
Wer den Skandal als Chance zur Weiterbildung nutzen wollte, war nach der Recherche mitunter ratloser als zuvor. Denn: Eine klare Richtlinie, was man in Österreich als „Made in Austria“ kennzeichnen darf, gibt es nicht. Geregelt wird die Bezeichnung unter dem Recht gegen den unlauteren Wettbewerb – verboten sind demnach „irreführende Geschäftspraktiken“. Das gilt für den Auftritt und die Werbung aller Unternehmer am Markt. „Im Wesentlichen müssen hier zwei Fragen geklärt werden“, erklärt der Unternehmens- und Wirtschaftsrechtsexperte Friedrich Rüffler, „erstens, wie versteht der angesprochene Verkehr die Aussage, zweitens, kann man davon ausgehen, dass die Aussage eine Kaufentscheidung beeinflusst?“ Zum Beispiel: Ein Etikett verspricht über Buchenholz geräuchertes Forellenfilet von einem österreichischen Familienbetrieb. Alles nicht falsch. Aber: die Forelle selbst war aus Italien. Geht so nicht, befand der OGH. „Jeder Verbraucher wird annehmen, dass der Fisch aus Österreich kommt. Schließlich ist es eine heimische Art.“ Anders verhält es sich mit einem Produkt, bei dem ganz klar ist, dass es nicht komplett aus Österreich kommen kann. Schokoladenguru Josef Zotter erzählt: „Wir wurden gerade verklagt, weil wir auf eine unserer Schokoladen ‚Made in Austria‘ geschrieben haben. Wir haben den Prozess gewonnen, weil wir zwar Rohstoffe im Ausland einkaufen, aber der gesamte Wertschöpfungsprozess in Österreich passiert.“ Und wir alle wissen, dass Kakao nun mal nicht in Österreich wächst. Nach der derzeitigen Regelung muss also immer im Einzelfall geprüft werden, ob eine Irreführung vorliegt. Rüffler äußert diesbezüglich Verständnis: „Das kann man dem Gesetzgeber auch nicht vorwerfen, mit einer präziseren Regel könnte man auch nicht jedem Fall gerecht werden.“
Wie schwierig eine Beurteilung ist, zeigt Zotter mit ein paar Beispielen auf: „Wie ist das beispielsweise bei einem Hemdenschneider? Darf er sein Produkt ‚Made in Austria‘ nennen, wenn er Stoff und Knöpfe in der Türkei kauft, aber den gesamten Verarbeitungsprozess in Österreich hat? Es ist ja nicht Aufgabe des Hemdenschneiders, auch den Stoff herzustellen. Oder der Sattler näht Taschen, muss er das Leder selber gerben und auch noch die Tiere dafür züchten, oder darf er Leder global einkaufen – und seine Taschen dennoch als ‚Made in Austria‘ vertreiben? Wenn also der Schokoladenhersteller, der Hemdenschneider und der Sattler Rohstoffe für ihr Gewerbe im Ausland einkaufen dürfen, darf dann der Schinkenveredler das Fleisch auch im Ausland einkaufen? Bei einer Bezeichnung ‚Made in Austria‘ erwartet der Kunde beim Schinken ein österreichisches Schwein, gelebt und verarbeitet in Österreich, beim Hemd ist die Toleranz etwas höher.“
ALLES EINE FRAGE DER DEFINITION.
Gerade beim Fleisch gehen die Emotionen gerne hoch: Schließlich geht es hier nicht nur im Herstellung und Produktqualität. Tierwohl, Schlachtungsbedingungen, Lebendtiertransporte ebenso wie der ökologische Fußabdruck des Fleischkonsums sind Themen, die hier in unsere Wahrnehmung hineinspielen.
Dem sollte auch der Gesetzgeber Rechnung tragen, findet Steirereck-Chefin Birgit Reitbauer, die als Gastronomin auch eine „Botschafterfunktion“ innehat – schließlich kommt der Gast in der Hotellerie oder Gastronomie oft zum ersten Mal mit regionalen Produkten in Kontakt. „Beim Fleisch wäre es ja durchaus machbar, da ist der Gesetzgeber zu lasch. Wenn auf der Packung ‚Made in Austria‘ draufsteht, erwarte ich als Konsumentin auch, dass das Tier in Österreich geboren, aufgezogen, geschlachtet und verarbeitet wurde. Und das bitte mit möglichst wenig Transportwegen und strengen Haltungs- und Schlachtungsauflagen. Da ist der Kunde nicht naiv, das darf er erwarten. Und die Realität sieht einfach anders aus – da ist eindeutig der Gesetzgeber am Zug.“ Schließlich werde auch intensiv geworben mit der Vorstellung der glücklichen Kuh, die dann im Stall umfällt. Dass dieser Vorstellung auch österreichische Schlachtungsbedingungen nicht immer gerecht werden, sei ein anderes Thema: „Natürlich muss ich überlegen, ob dieses Tier aus einem österreichischen Masthof kommt, aber das Grundgesetz muss einmal stimmen und klar sein.“ Völlig logisch – aber wenn „Made in Austria“ beim Fleisch plötzlich etwas anderes bedeutet als beim Hemd – wird da die Verwirrung nicht noch größer? Sind alternative Bezeichnungen wie „designed in“ oder „created in“ die Lösung? Marken wie Apple arbeiten bereits mit differenzierteren Bezeichnungen – dreht man sein iPhone um, findet man „Designed by Apple in California – Assembled in China“. Auch Michael Blass, Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria (AMA), spricht sich für eine Differenzierung aus: „Die Märkte, egal ob B2B oder B2C, erwarten klare, simple und aussagekräftige Informa-tionen. Es wird immer weniger toleriert, wenn sich ein Anbieter hinter pauschalen Versprechungen wie „made in“ versteckt, um Erwartungen in eine bestimmte Richtung zu lenken, die sein Produkt dann nicht erfüllt. Darauf hat im Übrigen die EU mit verschärften Vorschriften über den Irreführungsschutz reagiert: Wenn die Herkunftsangabe eines Lebensmittels einen anderen Ursprung suggeriert als für seine Primär-zutaten tatsächlich zutreffend, muss für diese Komponenten eine zusätzliche Herkunftsangabe ergänzt werden. Peter Untersperger, Vorstandsvorsitzender der Salinen Austria, findet die derzeitige Regelung ebenfalls „zu schwammig“, rät aber dazu, auch die internationale Wahrnehmung nicht zu unterschätzen: „Man muss achtgeben, dass das nicht protektionistisch ausgelegt wird. Das wäre sehr kontraproduktiv für die österreichische Exportindustrie.“
KOMMUNIKATION IST ALLES
Am Ende läuft es also auf die richtige Kommunikation hinaus – schließlich sind Marken, Gütesiegel und Ähnliches immer auch Kommunikationsmaßnahmen. Und wenn die Botschaft, die ausgeschickt wird, nicht die ist, die ankommt, dann gibt es ein Problem. In einer Umfrage im Auftrag von Aus-trian Limited geben 65 Prozent der Befragten an, dass alles stimmen müsse, damit ein Produkt die Bezeichnung „Made in Austria“ verdiene: Rohstoff, Herstellungsprozess und Firmensitz müssen in und aus Österreich sein. Sieht man sich die rechtliche Lage an, ist das aber eindeutig nicht der Fall. Hat „Made in Austria“ ein Glaubwürdigkeitsproblem? Almdudler-Chef Thomas Klein formuliert es elegant: „Ich denke nicht, dass die Kennzeichnung ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen würde, wenn sie nur nach strengen und eindeutig messbaren Kriterien vergeben würde.“ Botschaft verstanden. Geht man jene Stellen durch, die sich für derartige Kriterien einsetzen sollten, stößt man irgendwann unweigerlich auf die Wirtschaftskammer. Auf die Frage, ob es Bestrebungen gebe, hier genauere Regelungen zu schaffen, heißt es von dort lediglich: „Es gibt im Bereich Herkunftskennzeichnung ein EU-weites System, das sich bewährt hat und für Erzeuger wie Verbraucher Vorteile bringt: die Verordnung zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (EWG-VO 2081/92, abgelöst durch die EU-VO 1151/2012). Geschützte österreichische Begriffe sind z. B. ,Wachauer Marille‘, ,Marchfeldspargel‘, ,Tiroler Speck‘, ,Steirisches Kürbiskernöl‘, ,Waldviertler Graumohn‘ oder ,Mostviertler Birnmost‘.“ Ob eine Differenzierung von Bezeichnungen sinnvoll wäre, dazu äußert man sich nicht. Und natürlich haben die EU-Regelungen eine Berechtigung und dürfen nicht zu gering geschätzt werden, findet Untersperger, „da sie länderübergreifend weitgehend einheitliche Regelungen schaffen“. Aus dem Wirtschaftsministerium erreichte uns bis zum Redaktionsschluss keine Antwort auf unsere Anfrage.
Unabhängig von der Gesetzeslage sind es am Ende die Erzeuger selbst und der Handel, die mit den Konsumenten in Dialog treten und entsprechend gestalten müssen. Und das Zauberwort – da sind sich alle Befragen einig – ist Transparenz. Klein nimmt sowohl Konsumenten als auch Handel in die Pflicht: „Mein Rat wäre, immer lieber einen zweiten Blick auf das Produkt und vor allem seinen Hersteller zu werfen. Der Handel muss sich einerseits auf den Wahrheitsgehalt der Hersteller verlassen können und sollte andererseits keine Bühne für eine offensichtlich konstruierte Österreichherkunft bieten.“ Dann seien auch keine neuen Begriffe nötig: „Die beiden Werte Transparenz und Authentizität sollten sich wie ein roter Faden durch das Unternehmen ziehen. Befolgt man dies als Hersteller kontinuierlich und aus Überzeugung, dann sind gerade bei uns in der Lebensmittelindustrie Bezeichnungen wie ,designed in‘ oder ‚created in‘ entbehrlich. Solche Bezeichnungen allein starten keinen Dialog.“
MEHR ALS EIN PICKERL
„Made in Austria“ ist mehr als eine Herkunftsbezeichnung – es ist eine Geschichte, transportiert einen Wertekomplex. Das Narrativ, das dahintersteckt – gerade wenn es um Manufakturen geht –, läuft aber Gefahr, als verstaubt wahrgenommen zu werden. In der Umfrage messen vor allem die „Bewahrer“, die eher vergangenheitsorientiert, traditionsbewusst und veränderungsavers sind, der Kennzeichnung einen hohen Stellenwert bei. Inszenieren sich Österreichs Betriebe also falsch?
Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele, meint dazu: „,Made in Austria‘ ist gut, aber ein bisschen langweilig geworden. Vielleicht muss es regionaler sein: das Tiroler Bett, die Salzburger ... und so weiter.“ Und doch sei Traditionsbewusstsein, das in Österreich verankert ist, an eine Bedingung geknüpft: „Tradition ist dann ein Marketingtool, ein Argument für den Einkauf eines Produkts, wenn sie Qualität bedeutet.“ Bezogen auf die Manufakturen Österreichs bringt es die Theaterfachfrau auf den Punkt: „Es gibt kein schöneres Narrativ als die Beschreibung eines handwerklich hergestellten Gutes. Da schwingt die Tradi-tion mit, die Freude an der Qualität, der Stolz über das Vollbrachte. Aber wie hat Gustav Mahler richtig gemahnt: ,Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.‘“