Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer im Gespräch mit Austrian Limited über die Werthaltigkeit der Kennzeichnung „Made in Austria“, die Verantwortung von Herstellern, Gesetzgeber und Interessenvertretungen – und die moralische Komponente, die nicht übersehen werden darf.
Was verbinden Sie mit „Made in Austria“? Ich verbinde damit, dass Österreich ein Land ist, das hohe Qualität produzieren kann – sodass es für ein Produkt eine Empfehlung darstellt, wenn man es – redlicherweise – als „Made in Austria“ bezeichnen kann.
Bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Austrian Limited haben 65 Prozent der Befragten angegeben, dass ein Produkt nur dann die Bezeichnung „Made in Austria“ verdient, wenn Rohstoff, Herstellungsprozess und Firmensitz in und aus Österreich sind. Ist das naiv oder darf man das erwarten? Ich glaube, wenn in einer Maschine Schrauben verwendet werden, die aus Deutschland, Frankreich oder China stammen, kann man dennoch von „Made in Austria“ sprechen. So wie es auch bei „Made in Germany“ oder „Made in Switzerland“ der Fall ist. Österreich ist ja nicht das einzige Land, das diesen Ursprungshinweis verwendet. Auch die Schweizer betrachten es als Empfehlung und Qualitätsmerkmal, wenn etwas als „Made in Switzerland“ oder „Made in England“ oder „Made in Germany“ bezeichnet wird. Aber die entscheidenden Komponenten und Produktionsschritte müssen bei „Made in England“ aus England und bei „Made in Switzerland“ aus der Schweiz und bei „Made in Austria“ eben aus Österreich sein – sonst ist es nicht fair.
Ist das derzeitige rechtliche Gerüst zum Irreführungsverbot aus Ihrer Sicht ausreichend, oder sollte es eine klarere Regelung geben? Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, glaube aber, dass das in den letzten Jahren funktioniert hat. Aber es hat dieses berühmte, irritierende und von der Öffentlichkeit wahrgenommene Beispiel der Produktion von Gesichtsmasken im Zusammenhang mit der Pandemie gegeben. Da ist unter dem Zeitdruck etwas im Wesentlichen aus China beschafft und dennoch als „Made in Austria“ verkauft worden. Das geht natürlich nicht und ist zu Recht kritisiert worden. Vielleicht wird man im Lichte dieser Erfahrung in Theorie und Praxis noch nachschärfen. Aber ich glaube schon, dass es in der Vergangenheit international gut funktioniert hat, zumindest in Europa, einen Ursprungshinweis dieser Art zu haben, der wirklich Klarheit darüber schafft, woher ein Produkt im Wesentlichen stammt.
Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht – gerade vor dem Hintergrund des Maskenskandals –, eine Diskussion um Herkunftsbezeichnungen zu führen? Ich finde es sehr verdienstvoll, dass Sie das tun – und finde auch interessant, wie breit Sie die Auseinandersetzunganlegen, dass Sie auch jemanden wie mich, der aus der Politik, aber nicht primär aus der Wirtschaftspolitik kommt, in die Diskussion einbinden. Es ist ein Problem, das man nicht bestimmten Experten des Urheberrechts und des Patentrechts überlassen kann. Auch eine moralische Komponente ist dabei – ein Versprechen, das eingehalten werden muss. Wenn ich dem Konsumenten sage: Wenn du dieses Produkt kaufst, kaufst du österreichische Qualitätsarbeit, muss der Konsument sich darauf verlassen können, dass dem tatsächlich so ist.
Von Gesetzgeber über Interessenvertretungen, Erzeugern und Handel bis zum Endkonsumenten – wie verteilt sich aus Ihrer Sicht die Verantwortung? Ich glaube, in erster Linie ist trägt schon der Produzent, der diese Qualitätskennzeichnung verwendet, die Hauptverantwortung, dass das auch tatsächlich stimmt. Dem Konsumenten kann man das nicht primär auflasten – der soll sich darauf verlassen können, was auf einem Produkt angegeben wird.
Die Interessenvertretungen haben da natürlich eine – sagen wir einmal – übergeordnete Verantwortung. Sie müssen die Kraft haben, jemanden, der sich als schwarzes Schaf erwiesen hat, zur Rechenschaft zu ziehen und die Angelegenheit nicht gnädig zu verhüllen. Wenn jemand ein Versprechen gibt, das nicht eingehalten wird, ist es im Interesse aller anderen, dass schwarze Schafe pönalisiert werden. Daher liegt auch ein Teil der Verantwortung bei den Interessenvertretungen.
Der Gesetzgeber hat einfach die Verantwortung für klare Regelungen. Der Gesetzgeber ist nicht im Einzelfall verantwortlich zu machen. Aber wir wissen – Sie und ich –, dass Gesetze entweder auf den Punkt genau formuliert sein oder einen zu großen Spielraum bieten können. Die Gesetzgebung muss auf diesem Gebiet klare Regelungen schaffen.
Österreich ist sehr exportorientiert, gleichzeitig kauft man innerhalb Österreichs stark regional. Wie bringt man das unter einen Hut? Ich glaube, es ist klug, in einer Welt der Globalisierung und der internationalen Vernetzung sowohl am Exportmarkt als auch bei Importen aktiv zu sein. Internationale Arbeitsteilung hilft uns allen. Das ist die Grundnorm, und sich dem Import zu verschließen, heißt ja auch, den Export zu beeinträchtigen. Es kann eine Einbahnstraße sein. Dass aber jedes Land bestimmte Stärken hat, und dass die Franzosen auf ihren Wein und ihren Käse besonders stolz sind –, und dass Österreich gerade im Lebensmittelbereich viele Qualitätsprodukte hat, bei denen man denkt: Ich kenne die österreichischen Alpen und Biotope und daher vertraue ich Produkten aus dieser heimischen Landschaft in besonderer Weise – das ist meines Erachtens kein grundlegender Widerspruch zu dem Gedanken, dass wir unsere Wirtschaft heute international nur mehr arbeitsteilig organisieren können und exportieren und logischerweise auch importieren.
Wie ist die Verbindung von Internationalität und Heimatbewusstsein im kollektiven Bewusstsein der Österreicher verankert? Ich glaube, wenn man das genauer analysiert, wird man feststellen, dass Österreich in seiner Geschichte primär ein Binnenland gewesen ist und die großen Seefahrernationen und Kolonialmächte der Vergangenheit – Großbritannien, die Niederlande, Spanien, Portugal – im Welthandel noch offensiver sind. Sie können auf mehr historische Erfahrungen zurückgreifen. Aber gerade in den letzten Jahrzehnten und seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat sich da viel geändert. Österreich vor 1938 und erst recht vor 1918 war da viel mehr ein auf sich selbst konzentriertes Land. Wir haben da in der Zweiten Republik viel dazugelernt. Österreich ist heute im internationalen Handel sehr präsent, sehr offensiv. Da muss man auch den Außenhandelsstellen der Bundeswirtschaftskammer Komplimente machen. Ich habe öfter an Ort und Stelle – in Indonesien, Argentinien, Japan, Südafrika und vielen anderen Ländern – gesehen, wie offensiv und selbstbewusst Österreich, ein Land mit mittlerweile neun Millionen Einwohnern, aufgetreten ist. Das hat sich erst in der Zweiten Republik so richtig entwickelt.
Wie schätzen sie die Bedeutung der österreichischen Betriebe ein – für die Wirtschaft ebenso wie für den Tourismus? Die österreichischen Leitbetriebe, die man international kennt – ob VÖEST, Aluminium Ranshofen, VAMED oder andere exportorientierte Betriebe –, haben dieselbe Bedeutung für unser Land wie Volvo für Schweden oder Siemens für Deutschland. Das sind Leuchttürme. Es sind Produzenten, die nicht nur Produkte liefern, sondern die sich einen Ruf erworben haben, die international bekannt sind, denen man vertraut und die man daher auch pfleglich behandeln muss. Damit sie diesem Ruf gerecht werden und ihn möglichst weit in die ganze Welt hinaustragen. Bei bestimmten Firmen gelingt das den Österreichern, glaube ich, sehr gut.
Gibt es abschließend noch einen Aspekt, der aus Ihrer Sicht wichtig ist und erwähnt werden sollte? Ich glaube, es ist wichtig und wertvoll, wenn diese im Grunde wirtschaftspolitischen und exportorientierten Aktivitäten auch von der Außenpolitik mitunterstützt werden. Die Außenpolitik spielt für die Außenwirtschaftspolitik eine große Rolle. Ich glaube, man darf die Tatsache nicht übersehen, dass Österreich ein neutrales Land ist und zu internationalen Spannungen nicht beigetragen, sondern im Gegenteil bemüht war – und dies hoffentlich noch ist –, Spannungen abzubauen. Die wirtschaftliche Performance ist in erster Linie abhängig von der Qualität unserer Produkte. Aber die Außenpolitik muss auch das Terrain bearbeiten und kann, soll und muss einen Beitrag leisten. Wenn das Hand in Hand geht, funktioniert es am besten.
Herr Dr. Fischer, vielen Dank für das Gespräch.